1980 — 2000
Zwischen Tradition und Moderne
Nach den Erfolgen bei den Deutschen Meisterschaften 1980 lehnten sich die Spielleute keineswegs zurück. Noch im selben Jahr reiste man nach Gelsenkirchen zum Spielleuteverein „Einigkeit” Rotthausen, da diese im Besitz von Bugle-Hörnern waren und der Spielmannszug über eine Anschaffung besagter Hörner diskutieren wollte. Zu den Rotthausenern entwickelte sich über die Jahre eine enge Freundschaft, die mit jeweiligen Besuchen und Gegenbesuchen gepflegt wurde. Die Bugle-Hörner wurden schließlich angeschafft und bereits 1981 trat der Spielmannszug erstmals öffentlich mit Blasmusik auf. Dabei wurde das klassische Instrumentarium des Spielmannszuges – Flöten und Trommeln – als Ergänzung zu den Hörnern eingesetzt. Mit den Stücken „Le Camp de Meucon” und „Amerikanisches Jägerlied” traten die Spielleute 1983 erstmalig in der Klasse „Gemischt Modern” mit Hörnern beim Bezirks- und Landeswettstreit auf und konnten sogleich ihre ersten Siege erringen. Zwei Jahre später wurden die schwer stimmbaren Bugle-Hörner durch klassische Blechblasinstrumente wie Trompete, Tenorhorn etc. ersetzt. Diese neue musikalische Komponente, die doch für einen Spielmannszug recht ungewöhnlich ist, setzte sich durch und bis einschließlich 2003 nahm der Spielmannszug in der besagten Klasse erfolgreich teil und konnte in den Jahren 1986, 1990 und 1992 sogar den Titel Deutscher Meister erringen.
Den Ruf als hervorragender Organisator konnte der Spielmannszug im Zeitraum bis zur Jahrtausendwende bestätigen. 1981 und 1997 wurden erfolgreich Ostsee-Tourneen durchgeführt, bei denen die Spielleute mit ihren Familien die Ostseeküste bereisten und viele kleine Konzerte gaben. Zum 75-jährigen Jubiläum 1986 wurde neben der Ausrichtung des Bezirkswettstreits, einem Konzert mit der Gruppe „Relax” und einem Kommersabend unter der Moderation des damals bekannten Moderators Elmar Gunsch erstmalig der in Fachkreisen hochgeschätzte Wettstreit um das „Goldene Einhorn” durchgeführt. Diese Wettstreit-Eigenkreation besitzt einen anderen Wettbewerbsmodus als die normalen Bezirksoder Landeswettstreite, es gilt das Ausscheidungsprinzip. Außerdem nimmt nur die „musikalische Elite” der Spielmannsvereine teil, was für den Zuschauer natürlich spannender und qualitativ hochwertiger ist. Der „Einhorn-Pokal” konnte noch weitere Male ausgerichtet werden, 1989 und 1994, und bis auf 1989 ging der Spielmannszug als Sieger hervor. Daher steht das als Wanderpokal konzipierte „Goldene Einhorn” seitdem in unserer Pokal-Vitrine.
1994 organisierten die Spielleute im Rahmen der Knesebecker 750-Jahrfeier eine „Game Show” für die Knesebecker Straßenmannschaften, die im Dorf bis heute humorvolle Erinnerungen hervorruft. Auch Fahrten ins Ausland benötigen eine detaillierte Planung. 1995 zog es die Spielleute gleich zweimal ins Ausland: Während beim Euro-Tap-Too in Dänemark die Musik im Vordergrund stand, widmete man sich auf der Spielmannszug-Fahrt auf Mallorca ausschließlich freizeitlichen Dingen.
Nicht nur beim „Goldenen Einhorn” hat der Spielmannszug die Nase vorn, sondern auch beim Königsschießen auf dem alljährlichen heimischen Schützenfest. Von 1984 bis 1987 legen drei Spielleute einen regelrechten Hattrick hin und lassen die Spielleute am jeweiligen Schützenfestmontag wieder vor Kreativität sprühen. Da Günter Taebel sein Domizil am Butterberg hatte, wurde ihm spruchgerecht eine Butterburg vor das Eingangstor gebaut und er konnte sich beim Schützenfest 1985 über Fanfarenklänge und Ritterspiele freuen.
Mit etwas mehr Farbe ging es 1986 bei Karsten Temmes Ausklang des Königsjahres zu Werke, als ein Sklaven-Aufstand zelebriert wurde und die Spielleute bei sengender Hitze mit schwarzer Schuhcreme auf ihrem ganzen Körper durchs Dorf marschierten. Stilecht wurden zur Erzeugung einer Südseeatmosphäre natürlich auch Tonnen von Sand auf des Königs Grundstück am Kampe geschüttet, und gegen die nicht enden wollenden Fluten Sand kam nicht einmal der zunächst erzürnte Vater der Majestät mit dem Gummiwagen an.
Da Werner Wilheine jahrelang Paukist des Spielmannszuges war, wurde ihm zu Ehren am Schützenfestmontag 1987 eine überdimensionale Pauke gezimmert, die den Eingang seines Hauses zierte. Die ganze Bandbreite handwerklicher Fähigkeiten zeigten die Spielleute auch in den Königsjahren von Günther Schulze und Walter Schulze. Während am Schützenfestmontag 1993 noch eine Kopie des Brandenburger Tors aufgestellt wurde, erfüllte man Günther Schulze einen Traum, indem vor dem Schützenfest mit Musik durch das echte Brandenburger Tor in Berlin marschiert wurde. Just in diesem Moment fuhr übrigens die IOC-Kommission vorbei, die wegen der Berliner Olympia-Bewerbung dort verweilten. Ob der Durchmarsch der Spielleute ausschlaggebend für Sydney war, soll an dieser Stelle offen bleiben. 1999 überspannte am Schützenfest eine Nachbildung der Tower Bridge die Marktstraße, in der die Majestät Walter Schulze residierte. Mit den Uniformen der „British Guards” und extra gelernten englischen Märschen tat der Spielmannszug alles, um seinem ersten Vorsitzenden und musikalischen Leiter ein unvergessliches Schützenfest zu bieten.
Bis dahin und darüber hinaus gab es in den personellen Vereinsstrukturen wieder einige Generationswechsel. 1981 löste Heinrich Wolter den bis dato 14 Jahre tätigen Jugendwart Karsten Temme ab. In diesem Jahr geht auch das langjährige Vorstandsmitglied Günther Schulze in den verdienten Vorstands-Ruhestand und wird von Karl-Heinz Müller als zweiter Vorsitzender abgelöst. Dieser hatte das Amt schon von 1962 bis 1965 inne und gab es 1983 auch wieder an Otto Schlüsche sen. ab. Auf den restlichen Posten herrschte in den nächsten Jahren hauptsächlich Kontinuität. Otto Schlüsche sen. übergab sein Amt 1988 an Kurt Mann. 1998 löste Otto Schlüsche jun. Den bisherigen Jugendwart Heinrich Wolter ab, der das Amt mit einer Dauer von 17 Jahren bisher am längsten ausführte. Die ehemals oder immer noch festen Vereinsgrößen, die Ehrenmitglieder, bekamen bis zum Jahr 2000 Zuwachs. 1983 wurde Karl Düvel und 1990 Wilhelm Klasing Ehrenmitglied. Die ehemaligen ersten bzw. zweiten Vorsitzenden Karl-Heinz Müller und Günther Schulze wurden 1996 und 1998 zu Ehrenmitgliedern ernannt.
Musikalisch entwickelte sich der Spielmannszug nicht nur im Bereich Blechblasinstrumente weiter. Nachdem in den 1970ern erstmalig Konzertstücke gespielt wurden, adaptierte der musikalische Leiter und erste Vorsitzende Walter Schulze laufend neue konzertante Stücke, die natürlich vom Niveau her nicht leichter wurden. Die komplementären Schlagwerk-Noten verfasste aufbauend darauf Karsten Mühe. Ob „Ouvertüre zu Orpheus in der Unterwelt”, „Wenn ich König wär‘” oder „Pomp and Circumstance No. 1”, die 1980er und 90er hielten für die Spielleute stets neue Herausforderungen bereit. 1988 ließ Walter Schulze verlauten, dass mit dem Einüben des Stücks „Capriccio Italien” ein bislang unerreichtes Niveau erreicht sei. Um das Instrumentarium an das neue breitere Repertoire anzupassen, beschaffte der Spielmannszug 1996 neue Trommeln mit einem besseren Klangvolumen. Außerdem wurden 1999 ein Xylophon und 3 Stand-Toms angeschafft. Im Jahr 1985 wurde die zweite LP „Auf dem Hochrad” aufgenommen, die ausschließlich volkstümliche Musik enthält. Am Rande dieser Entwicklung wurden durch die hohen Ausgaben für diese Plattenaufnahme 1986 erstmals Mitgliedsbeiträge für die aktiven Spielleute eingeführt. Dies sollte sich lohnen, da der Spielmannszug zu diesem Zeitpunkt 71 aktive und insgesamt 138 Mitglieder hatte.
Die Mitgliederzahl sollte in den nächsten Jahren noch kontinuierlich steigen. Bei der großen Anzahl Aktiver kommt zwangsläufig die Frage auf: Wo findet nun eigentlich das musikalische Üben statt? Im Kapitel „Aufbruch zu neuen Zielen” wurden bereits der Schützenplatz und die Schule als Orte erwähnt.
Zwischendurch wurde das Üben schon in die Gaststätte „Knesebecker Hof” verlegt, als dieser 1986 vorübergehend geschlossen wird weichen die Spielleute in das Feuerwehrgerätehaus aus. Das nomadenhafte Treiben endet schließlich im Dezember 1992, als der Spielmannszug im neuen Vereinsheim auf dem Schützenplatz sesshaft wird. Im neuen Vereinsheim konnte man sich nun richtig ausbreiten, es herrschte ausreichend Platz für Instrumente und Spielleute und das Spielmannsleben pulsierte von nun an im Thekenraum des Vereinsheims. Finanziert wurde der Umbau des ehemaligen „Hemmenstädtschen Häuschens” mit dem Verkauf von „Bausteinen”, die bis heute laufend zurückgezahlt werden.
Was ist nun überhaupt in den beschriebenen 20 Jahren passiert? Was sind die Meilensteine? Hier sind sicherlich die Generationswechsel aber auch die Kontinuität im Vorstand, die ständige Weiterentwicklung des Repertoires und Instrumentariums, sowie der Bau des Vereinsheims zu nennen. Viel wichtiger ist jedoch, dass sich der Verein sowohl im Dorfleben als auch im Hinblick auf die Wettstreitebene klar etablieren konnte. Bei Bezirkswettstreiten dominierte der Spielmannszug das Geschehen und auf Landeswettstreiten und Deutschen Meisterschaften wurden die Spielleute zur harten Konkurrenz für die etablierten Vereine, was letztlich auch zu einigen Titel führte. Der Verein stockte nie in seiner Entwicklung, nahm immer wieder neue Einflüsse auf und zeigte organisatorisch ein hohes Maß an Kreativität. Gleichzeitig wurde jedoch nie vergessen, wo der Verein seine Wurzeln hat und der traditionelle Geist der Dorfgemeinschaft blieb immer bestehen.
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2000 — heute
Mit Flöte und Trommel die Musik erobern